Tagsüber Arzt und in der Nacht Hacker
Mit einem «Weltverbesserli», zu dem jeder beitragen könne, wollen zwei Tüftler das Glarnerland stärken
Mike Zweifel und Nico Schottelius errichten einen «Makerspace» für Elektronik begeisterte im Glarnerland. Das Web in der Werkstatt oder die Werkstatt im Web bietet Hilfsmittel gegen Kurzschlüsse.
VON BRIGITTE TIEFENAUER (TEXT UND BILD)
Sie wecken den Eindruck zweier Lausbuben: in jeder Hand einen PetRohling, im Gesicht ein breites Grinsen und in der Luft liegt ein Hauch von Spannung: Mike Zweifel, junger Familienvater aus Näfels, in Jeans und Freizeithemd; Nico Schottelius, Geschäftsmann deutscher Abstammung, blauer Anzug und Brille, das blonde Haar zum Rossschwanz gebunden. Gleich gesinnt und trotzdem ein ungleiches Paar, verkabelt mit diesen PetRohlingen. Wenn der eigene Rohling blinkt, wird gedrückt. Wer schnell reagiert, gewinnt. Wer zögert, erntet ein akustisches «Mäh» und fliegt raus. Acht Leute könnten theoretisch mitspielen. «Das Spiel ist lustig und so einfach», sagt Zweifel. Er hat es erfunden. Simple Platine, eingebaut in ein gut streichholz grosses Kästchen, einige Widerstände und etwas Kabel aus dem Fachmarkt lassen die PetBuzzer leuchten. «Sieht aus wie vom Profi, nicht?»
MIKE ZWEIFEL, der etwas Jüngere, ist Assistenzarzt in einer Kinderarztpraxis in Rüti (ZH); Nico Schottelius Informatiker, Hacker, Geschäftsführer der Ungleich GmbH mit Sitz in Luchsingen und Initiator von digitalglarus.ch. Tagsüber sei er berufstätig und nachts Hacker, so Zweifel. «Nein, nicht gemäss dem negativen Touch, der dem Begriff leider anhaftet», winkt er ab. «Der Hacker schaut, wie etwas funktioniert, nimmt Dinge auseinander und analysiert sie, um sie zu verstehen und zu verbessern.» Die schwarzen Schafe, die versuchten, illegal Systeme zu manipulieren, hätten den Tüftlern den
schlechten Ruf eingebracht.
«Symbolisch für den Spass, der ja auch nie vergessen werden soll, demonstriert Zweifel die «Heimkehrerlampe». Er hat sie aus einem Funkempfänger, einer Lichterkette und einem Stromregler für seine Frau gebastelt. «Wenn mein Dienst sich hinzieht, schalte ich die Lampe per Handy auf rot, wenn der Feierabend sich nähert auf gelb und wenn ich mich auf den Heimweg mache, auf grün.» Zweifel lacht. Was piept, blinkt und sich bewegt fasziniert mich und macht mir Spass.»
MIKE ZWEIFEL
Im Gegensatz zu Zweifel ist Schottelius hauptberuflich «Hacker». Was aber nicht heisse, dass er rund um die Uhr arbeite. «Das wäre ungesund», räumt er ein. Vor zehn Jahren ist er über eine OpenSource Firma in die Schweiz gekommen und schliesslich, auf der Suche nach einem erschwinglichen Büro für seine eigene Firma, die Ungleich.ch, in Luchsingen fündig geworden. Seine virtuelle Arbeitswelt sei glücklicherweise nicht ortsgebunden, meint er, das Glarnerland zum Wohnen preiswert und bilderbuchschön.
SCHOTTELIUS’ HAUPTBUSINESS ist der Aufbau von LinuxInfrastrukturen für andere ITFirmen. Linux ist ein Betriebssystem wie Windows oder Mac und wird hauptsächlich von Internetfirmen verwendet. Seine Kunden sind Webdesign und entwicklerFirmen, für welche die Firma die Ungleich.ch Server auf LinuxBasis betreibt. In der OpenSource Entwicklung
kann laut Schottelius jeder mitmachen: Programmcode herunterladen, studieren und anpassen. «Wir Hacker haben
häufig den kleinen Weltverbesserer im Hinterkopf, wenn wir Bestehendes optimieren oder Neues entwickeln.» Zweifel, der HobbyHacker, hat sich das Metier von der Pike auf mit «learning by doing» beigebracht. «Was piept, blinkt und sich bewegt fasziniert mich und macht mir Spass», sagt er.
Den Spass wolle er nun in einem Makerspace nach dem Vorbild bestehen der Makerspaces, Hackerspaces oder Fab
Labs teilen: «Das sind diese Orte, an denen du Ausrüstung findest und Gleichgesinnte triffst. Das funktioniert doch auch im Glarnerland.»
AUFRUF UND NACHFRAGE sozusagen haben Schottelius und Zweifel zusammen geführt. «Makers im Zigerschlitz» heisst ihr Produkt. Das Hosting, das virtuelle Zuhause, bietet Schottelius über Ungleich.ch. Unter den klugen Köpfen, die sich auf dieser Plattform voraussichtlich bald tummeln, erhofft er sich auch Ressourcen für seine Firma. Neben dem virtuellen bietet er den Makers im Zigerschlitz künftig auch ein reales Zuhause. Der CoWorkingSpace, den Schottelius in einem Haus in Schwanden plant, umfasst ein Café, Büros, einen Raum für Meetings, aber auch einige günstige Mietzimmer etwa für Studenten, welche die Synergien des CoWorkingSpaces nutzen wollen. «Statt Wände zwischen Konkurrenten hochzuziehen, profitieren wir vom kollegialen Zusammenspiel.» Hier können Informatiker, Programmierer, Designer oder Elektronikfreaks ihre Lust am Werkeln und Experimentieren ausleben und an ihren eigenen Projekten
und Unternehmungen arbeiten.
NEBEN DER ELEKTRONIKECKE bieten die beiden auch ein Fotolabor. Später sollen 3DDrucker, Lasercutter oder CNCFräsen hinzukommen. «Es sind nicht nur jede Art Elektroniker willkommen», sagt Schottelius, «wir freuen uns auch
über Maker anderer Berufsgattungen, die als Spezialisten ihrer Fachgebiete an gemeinsamen Projekten arbeiten möchten oder anderen ihre Metiers nahebringen wollen.»
«Was in den Makerspaces abläuft, wird von der Industrie aufgegriffen.» NICO SCHOTTELIUS
Symbolisch für den Spass, der ja auch nie vergessen werden soll, demonstriert Zweifel die «Heimkehrerlampe». Er hat sie aus einem Funkempfänger, einer Lichterkette und einem Stromregler für seine Frau gebastelt. «Wenn mein Dienst sich hinzieht, schalte ich die Lampe per Handy auf rot, wenn der Feierabend sich nähert auf gelb und wenn ich mich auf den Heimweg mache, auf grün.» Zweifel lacht.
EIN ETWAS ERNSTERES WERK ist der Strommesser, den er für seinen Vater, Inhaber einer Solarfirma, entwickeln möchte. Das Gerät zeichnet, etwa im Haus eines Kunden, den Stromverbrauch im Verlauf des Tages detailliert auf. «Kein kommerzielles Produkt, aber es könnte eines daraus werden», so Zweifel. Und Schottelius: «Was in den Makerspaces im kleinen Stil abläuft, wird in 10 bis 15Jahren von der Industrie aufgegriffen und entwickelt.» Wer sich heute in Versuch und Irrtum übe, rüste sich für die Zukunft. Denn mittelfristig zählten kaum mehr Assessments und Erfahrung, ist Schottelius überzeugt. Vielmehr gilt: «Du bist, was du kannst.» «Klugen Köpfen» gibt er deshalb die Chance, sich mit einem Testprojekt zu beweisen. «Das ist die bessere Referenz als jedes Ausweispapier.» Auch für das Glarnerland sieht der Jungunternehmer grosses Potenzial. «Wo altehrwürdige Industriegebäude verstummen, gibt es Raum für digitale Projekte und damit Arbeitsplätze. Und dies in schönster, gesunder Umgebung», schwärmt er. «Beautiful, affordable and direct» oder «schön, erschwinglich und direkt», heisst es dazu zusammenfassend auf der Webseite digitalglarus.ch, auf der Glarus als «Techvalley in the Heart of Switzerland» beschrieben wird.
MOOD LAMP
Der erste Glarner «Maker-space» öffnet seine Türen am Samstag, 17. Oktober. Am Vormittag ab 9 Uhr und am Nachmittag von 14 bis 17 Uhr lernen Neugierige ab zwölf Jahren bei den Makers im Zigerschlitz, wie man mit der Entwickler-Plattform Arduino winzige Chips dazu bringt, LEDs zum Leuchten zu bringen. Oder wie man Mikrokontroller mit Reglern oder Sensoren verbindet und damit einen Motor ansteuert. «Mit dem Wissen bauen und programmieren wir eine Dekolampe – unsere Mood Lamp», steht in der Einladung. Treffpunkt: Digital Chalet Schwanden, in der Au 7. Anmeldung: www.zigerschlitzmakers.ch.
«Der Hacker schaut, wie etwas funktioniert, und nimmt Dinge auseinander.» MIKE ZWEIFEL
FINANZIERUNG
Crowdfunding ist eine moderne Art, zusammen ein Projekt zu finanzieren. Um möglichst viele Interessenten zu erreichen,
werden solche Projekte auf Crowdfunding-Plattformen im Internet veröffentlicht. Das Projekt Digital Glarus beispielsweise startet ab Oktober ein Crowdfunding, um die Renovation des Co-Working-Spaces in Schwanden zu finanzieren. Wie Crowdfunding funktioniert, erklärt Nico Schottelius am Mittwoch, 23. September, ab 18.30 Uhr im Digital Chalet, in der Au 7, in Schwanden. Mehr Infos dazu im Internet unter www.meetup.com oder www.digitalglarus.ch.
«Wir Hacker haben häufig den kleinen Weltverbesserer im Hinterkopf.» NICO SCHOTTELIUS
-DIE SÜDOSTSCHWEIZ-2015/09/13